Einführung Panel „Träume von Räumen“ des
Werkleitz Symposions Umbruch im Film
durch Emerson Culurgioni

Gäste: Lars Fischer
Juliane Jaschnow
Johanna Maj Schmidt
Dino Weisz
Juliane Heinrich
Andreas Petrik
Sandra Naumann

werkleitz.de/podcasts-umbruch-im-film/

Der Titel des Panels, „Träume von Räumen“, ist dem gleichnamigen Buch von Georges Perec entlehnt. Darin bewegt sich der Autor gedanklich vom leeren Blatt Papier über den Schreibtisch, das Bett, Türen, Treppen, Wände, über die Wohnung, das Mietshaus, die Straße, das Quartier, die Stadt, das Dorf, das Land, Grenzen, Europa und die Welt bis ins Universum und durch Raum und Räume, vom Allernächsten bis zum Fernsten.

Wir fangen also in der Provinz an, drehen dann ein paar Runden über die städtische Peripherie, unter anderem auf westdeutschen Autobahnen, und landen schließlich wieder bei einem Dorf – allerdings in Form einer Simulation. Der Titel der Veranstaltung, „Umbruch im Film oder Film in Umbruchzeiten“, eröffnet einen Denkraum, in dem es zum einen um die Mittel des Films im Kontext und in Konkurrenz zur medialen Aufmerksamkeitsökonomie geht, die maßgeblich von der Unterhaltungsindustrie und internationalen Konzernen geprägt ist.

Das heißt, Sehgewohnheiten verändern sich durch Smartphones, Social Media, Kino und Streamingplattformen. Gleichzeitig verschwinden aus einer Vielzahl von Gründen Kinos aus Kleinstädten und ländlichen Räumen. Was bedeutet das für den Film als Medium? Eine konstruktive Antwort darauf geben Juliane und Johanna Mühlschmidt, die leider nicht da sein kann, mit ihrem Projekt „Kino in Bewegung“, in dem sie in der Provinz über Filme ins Gespräch kommen.

Lars Fischer ist Experte für Landschaftskommunikation und steht in enger Beziehung zum Film Festival „Provinziale“ in Eberswalde. Er wird ausgehend von dieser Doppelrolle einen Vortrag über das Verhältnis von Film und ländlichem Raum halten.

Dann ist da noch die Frage nach Film im Umbruch vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Krieges in der Ukraine und seinen Folgen. Dort werden gewaltsam Ländergrenzen verschoben und damit nicht nur Lebensräume verändert. Wie wir aus der Geschichte gelernt haben, geht das Verändern bzw. Öffnen und Schließen von Grenzen, von eisernen Vorhängen und politischen Systemen, nicht spurlos an Gesellschaften vorbei.

So hallt die Geschichte durch den Krieg in der Ukraine, insbesondere in Ostdeutschland, seltsam nach. Manche sprechen diesbezüglich vom „Ende des Endes der Geschichte“. Das meint, dass die Befriedung der Systeme mit dem Fall der Mauer jetzt wieder aufgehoben sei. Doch die Bruchlinie verläuft nicht mehr zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern eher zwischen Demokratie und Autoritarismus. Für andere sind die ökonomischen Folgen der Polykrise angesichts des Krieges erneut ein guter Anlass, ihren Unmut wahlweise gegenüber der Regierung, dem Staat, den Medien, der Wissenschaft oder ganz allgemein den Eliten von der Peripherie ins Zentrum zu tragen.

Man denke an den Sturm auf das Kapitol oder den Reichstag. Leider richtet sich dieser Unmut oft gegen die Falschen, insbesondere gegen „die Anderen“, um ein ideologisch aufgeladenes „Wir“ oder ein nicht minder problematisches neoliberales „Ich“ zu erzeugen. Und das, obwohl das Ankommen in der BRD, ob nun aus der Peripherie im Osten oder der Peripherie des globalen Südens, viele Überschneidungen hat.

Tino Weiss wird uns anhand seines Spielfilmprojekts „POET“ unter anderem über „Ankommen eins“ und „Ankommen zwei“ erzählen, hoffe ich. Der Film entsteht in ehemaligen DDR-Plattenbau-Siedlungen in der Peripherie ostdeutscher Städte wie Leipzig-Grünau. Dort treffen Rentnerinnen mit DDR-Hintergrund auf junge Geflüchtete und Migrantinnen internationaler Herkunft. Und so wie die Begriffe „Zentrum“ und „Peripherie“ sich gegenseitig bedingen, kann man wohl kaum über den regionalen Fokus dieser Veranstaltung reden, ohne über Westdeutschland bzw. die BRD zu sprechen.

Juliane Henrichs Essayfilm „Aus westlichen Richtungen“ stellt einerseits aus einer persönlichen Perspektive auf der Textebene die Frage, was „Westen“ oder „westdeutsch“ oder „West“, „Deutsch“ und „Land“ ist und erforscht sie gleichzeitig phänomenologisch auf der Bildebene. Dabei denke ich an Ostdeutschland, aber nicht nur als ein Erfahrungsraum, der von der AfD und anderen rechtsradikalen Gruppen aus Ost und West genutzt wurde und wird, um durch Emotionalisierung Patriotismus und Chauvinismus zu stärken und letztlich demokratiefeindlich auf diesen politischen Raum einzuwirken.

Man stelle sich also vor, wie wir hier alle sitzen: Wir hätten, wie kürzlich in Niedersachsen geschehen, eine Ausschussvorsitzende der AfD, nämlich Jessica Schülke für Wissenschaft und Kultur im Landtag. Die wenigsten hier könnten ihre Arbeit sorgenfrei weiterführen. So würde der erste Film „Aus westlichen Richtungen“ schnell ein Propagandafilm über deutsche Alleinstellungsmerkmale werden, und der migrantische „POET“ in Grünau würde bald nur noch über „2000 Jahre deutsches Leid“ und die „gequälte deutsche Seele in der literarischen Romantik“ sinnieren.

Insofern sind Filme, die etwas wollen, in Umbruchzeiten umso wichtiger, meiner Meinung nach. Denn die liberale parlamentarische Demokratie ist immer noch die „integrativste Staatsform“, der man in guten wie in schlechten Tagen weiterhin treu bleiben sollte. Letztlich findet Reden über Filme und Filmemachen nicht im luftleeren Raum statt. Und ich hoffe, nicht allein zu sein, wenn ich sage, dass Filme im Sinne der Kunst als progressiv-emanzipatorische Kraft aufklärerische Absichten haben sollten, bezogen auf ästhetische wie politische, kommunikative, aber auch surreale Erfahrungen, die durch Filme möglich sind.

Sandra Naumann ist freiberufliche Medienwissenschaftlerin und Koautorin des Spielfilmprojekts „Patriotin“. Sie wird uns vom derzeitigen Stand der Recherche für den Film in rechtsradikalen Gruppen in Ostdeutschland und vielleicht auch aus dem Internet erzählen.

Es stellt sich also immer wieder die gleiche Frage: Was wollen und was können Filme überhaupt leisten? Bilden, vermitteln, erinnern oder erneuern? Für wen machen wir diese Filme? Wer sieht sie? Wovon ist es abhängig, ob Filme Eindruck oder Wirkung hinterlassen? Dr. Andreas Petrick ist Professor für Didaktik am Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität in Halle und stellt das Sozialexperiment der Dorfsimulation im Rahmen des Forschungsprojekts zur politischen Identitätsentwicklung und demokratischen Gemeinschaftsbildung mit Jugendlichen vor. Dabei sollen Jugendliche sich vorstellen, in einem leerstehenden Dorf eine neue Gesellschaft zu gründen.

Eine zehnteilige Podcastserie zu Umbruch im Film, ein Symposium zur Professionalisierung und Vernetzung von Filmemacher:innen, Filmproduzent:innen, Filmfestivalmacher:innen und Filmkurator:innen, das, präsentiert von der Werkleitz Gesellschaft, vom 5.bis 7. Dezember 2022 in Halle (Saale) stattfand. Im Fokus von Umbruch im Film standen Filme, die aktuelle gesellschaftliche Umbrüche, wie Deindustrialisierung und Strukturwandel im ländlichen Raum und in Bergbaufolgelandschaften thematisieren.