04.06.2024
https://vimeo.com/954408882
https://werkleitz.de/stadt-land-bodenkaempfe
Das Panel "Stadt-Land-Bodenkämpfe" ist die Auskopplung einer Recherche des Filmemachers Emerson Culurgioni für den Film LANDNAHME (AT). Es lädt im Zuge der aktuellen Debatten über das Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen zu einer kritischen Betrachtung der Expansion börsennotierter Immobilienfirmen in den ländlichen Raum und der Bodenpolitik ein.
Ich freue mich sehr, Sabine Nuss, Uwe Zöllner und Jan Brunner begrüßen zu dürfen. Ihre herausragende Arbeit und Expertise zur Kritik am Privateigentum, Finanzmärkte und deren Einfluss auf Wohnimmobilien und Landgrabbing in Ostdeutschland sind wesentliche Bestandteile meiner bisherigen Untersuchungen.
In den letzten vier Jahren habe ich mich als Künstler und FIlmemacher intensiv im Selbststudium mit den großen Themen Wirtschaft, Kapitalismus und den Ursachen von Ungleichheit auseinandergesetzt. Zur Einführung in dieses Panel möchte ich Ihnen einen Einblick in meine Recherche für mein neues Filmprojekt mit dem Titel LANDNAHME geben.
Meine bisherigen Filmen habe ich unter anderem in Zusammenarbeit mit Stefanie Schroeder, Jonas Matauschek und Clemens von Wedeyer realisiert.
Der Kurzfilm LEUNA ist das Portrait eines vom Strukturwandel betroffenen Ortes inmitten einer Energie- und Industrielandschaft. In HABITAT ging es um die Migration von Mensch, Tier und natürlichen Ressourcen am Beispiel der Bergbaufolgelandschaft am Geiseltalsee. In AUSBEUTUNG war ein mittelalterliches Altargemälde Ausgangspunkt für eine künstlerische Recherche zur Geschichte des Silberbergbaus im Erzgebirge und für eine mediale Reflexion von der Malerei hin zu digitalen Medien und die dafür benötigten Ressourcen wie Lithium. LA DUNA von 2023 ist eine Geschichtensammlung über Macht, Eigentum und Widerstand und die Frage Wem gehört das Land? Es geht darin um Sand als kleinstes Landpartikel und Träger von Identität aber auch um die Macht des Geschichten Erzählens.
Ausgangspunkt der Recherche für meinen neuen Film mit dem Titel LANDNAHME und für dieses Panel ist Folgender Fall: Am 06.03.2023 protestierten, laut Pressemitteilung Landwirt:innen aus Brandenburg in Berlin. Allerdings nicht wie üblich vor dem Brandenburger Tor oder vor dem Agrarministerium, sondern vor der Zentrale des Immobilienunternehmens Deutsche Wohnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Deutsche Wohnen bereits zu über 80 % von Vonovia, dem größten Immobilienunternehmen Deutschlands übernommen. Gemeinsam besitzen die fusionierten Unternehmen über 500.000 Wohnungen in Deutschland und sind damit auch der größte Immobilienkonzern Europas.
Anlass für den Protest war folgender: Ein Landwirt bot acht Millionen Euro für den 2500 Hektar großen landwirtschaftlichen Betrieb Röderland GmbH im brandenburgischen Elbe-Elster-Kreis, unweit der Grenze zu Sachsen. Die Quarterback Immobilien AG, eine 40 prozentige Tochterfirma der Deutsche Wohnen/Vonovia SE, überbot den Landwirt keine zwei Wochen später um zwei Millionen Euro. Normalerweise sichert das Grundstücksverkehrsgesetz Landwirt:innen gegenüber Nicht-Landwirt:innen durch das Vorkaufsrecht auf Agrarflächen ab. Doch die Quarterback AG nutzte das juristische Schlupfloch des Share-Deals, auch Anteilskauf genannt, um den Betrieb und das dazugehörige Land, samt betrieblicher Infrastruktur zu erwerben, wodurch die Grunderwerbssteuer, das erwähnte Vorkaufsrecht und ein Eintrag ins Grundbuch umgangen werden.
Auf 20% der landwirtschaftlichen Fläche (zirka 500 Hektar) soll ein staatlich subventionierter Solarpark im Sinne des Erneuerbare Energien Gesetzes des Bundes entstehen. Die vom Thüneninstitut berechnete jährliche Grundrente für eine Solaranlage dieser Größe beläuft sich auf bis zu 20.000 €/ha/Jahr , im Vergleich zu durchschnittlich 270 €/ha/Jahr die bei Ackerbau erwirtschaftet werden, das ist eine Gesamtrente von 10 Millionen Euro im Jahr, gebunden in Jahresverträgen ab 5 bis zu 20 Jahren im Vergleich zu 135.000 Euro die mit Ackerbau erwirtschaftet werden – also ungefähr das vierundsiebzigfache.
Selbst das Thüneninstitut für Forschung und Politikberatung zu ländlichen Räumen, Landwirtschaft, Wald und Fischerei schreibt, dass es den Solarprojektentwicklern angesichts der hohen Renditen wohl kaum um die Landwirtschaft oder um den Nachhaltigkeitsaspekt der Solaranlage geht, sondern ausschließlich um die subventionierte Rendite.
Es ist daher nicht unüblich, dass außer-landwirtschaftliche Investoren das zehnfache der üblichen Pachtpreise in ostdeutschen Regionen bieten, um an Boden und Land zu kommen – in der Spitze sogar bis zu 4000 Euro pro Hektar, im Vergleich zu ortsüblichen 200 – 350 Euro. Die Attraktivität für Investoren besteht in der Größe zusammenhängender Flächen, die aus der kollektiven Bündelung der Betriebe und Flächen in der DDR in Form von LPGs resultieren. Je größer eine Fläche desto effizienter und gewinnbringender kann der erzeugt Strom weitergeleitet werden. Jan Brunner wird uns zu diesem Thema im Anschluss noch mehr erzählen. Ein weiteres Thema das sich an die umstrittenen Share Deals anschließt, ist die Frage der Transparenz: Das Vorkaufsrecht umgehen, die Grunderwerbssteuer einsparen, aber den Eintrag ins Grundbuch umgehen?
Ich zitiere aus der Studie „Keine Transparenz trotz Transparenzregister“ von Christoph Trauvetter:
„In Deutschland sind alle Immobilieneigentümer*innen im Grundbuch (bzw. in den lokalen Grundbüchern) erfasst. Allerdings gibt es hierbei zwei Probleme. Zum einen sind die Grundbücher weder digitalisiert und zentralisiert noch frei zugänglich. Zum Zweiten sind im Grundbuch nicht die finalen wirtschaftlichen Berechtigten bzw. die tatsächlichen Eigentümer*innen, sondern nur die rechtlichen, direkten Eigentümer*innen erfasst. Dies sind oft sogenannte Objektgesellschaften, also Firmen, die in ein größeres Firmennetzwerk eingebunden sind und lediglich zur Verwaltung einer Immobilie oder mehrerer Immobilien gegründet wurden. ... Für eine effektive Strafverfolgung, für die politische Regulierung genauso wie für die Selbstregulierung des Marktes und nicht zuletzt für eine informierte öffentliche Debatte über Vermögen, Verantwortung und Macht braucht der Immobilienmarkt mehr Transparenz.“
Es würde zu weit führen zu erläutern weshalb das Kapital gerne im Verborgenen weilt, doch man kann festhalten, dass die Frage Wer wieviel besitzt, wer also wieviel Macht und Einfluss hat eigentlich einem demokratischen Verhandlungsprozess unterstellt werden sollte und dieser nur stattfinden kann wenn die Eigentumsverhältnisse transparent, zugänglich und auswertbar sind. Sabine Nuss wird uns gleich im Anschluss über die Probleme des Privateigentums aufklären und welche Alternativen es gibt.
Dem Titel des Panel entsprechend muss ich noch den Punkt Bodenpreise bzw. Baulandpreise ansprechen.
In seinem Buch zur Wohn- und Bodenfrage schreibt Hans Jochen Vogel:
„Die Suche nach einer gerechteren Bodenordnung und die Frage, wie die seit Jahrzehnten anhaltende Steigerung der Baulandpreise gestoppt werden kann, haben in meinem politischen Leben schon vor fast 50 Jahren eine zentrale Rolle gespielt. Als Münchner Oberbürgermeister (1960-1972) und später als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (1972-1974) war ich direkt mit diesem Problem konfrontiert.
... Schon damals waren die Baulandpreise auf Bundesebene stark gestiegen: von durchschnittlich 7,58 Euro pro Quadratmeter im Jahr 1962 auf 15,72 Euro pro Quadratmeter im Jahr 1970 – ein Anstieg von 107 Prozent. In München begann die Erfassung der Baulandpreise bereits 1950. Hier stieg der durchschnittliche Quadratmeterpreis von 3 Euro im Jahr 1950 auf 70 Euro im Jahr 1970, was einer Erhöhung um 2234 Prozent entspricht – Diese Preisentwicklung setzte sich kontinuierlich fort. ... Eine ähnliche negative Entwicklung setzte sich vor allem seit 2010 erneut fort. Zum Vergleich: Die Baulandpreise stiegen bundesweit von 156,63 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2016 auf 174,94 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2017. In München betrugen die entsprechenden Preise 1700 Euro im Jahr 2016 und 1876 Euro im Jahr 2017 pro Quadratmeter.
Diese Zahlen verdeutlichen die dramatische Entwicklung der Baulandpreise und unterstreichen die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bodenordnung gerechter zu gestalten, leistungslose Einkommen durch Bodengewinne zu stoppen und die Preisspirale durch Bodenspekulation zu durchbrechen. ... In den Medien und auch in der Politik wurde bisher hauptsächlich über die rapide Steigerung der Mieten und den zunehmenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum diskutiert. Das ist durchaus berechtigt, denn die Angebotsmieten steigen kontinuierlich.
Keine Rede ist hingegen von einer ganz wesentlichen Ursache der Mietpreissteigerungen, nämlich dem enormen Anstieg der Baulandpreise. Diese Verbindung zwischen beiden Entwicklungen wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in München 1962 die Grundstückskosten nur acht Prozent und die Baukosten 92 Prozent der Gesamtkosten eines Wohnungsbaus ausmachten. 1970 hingegen machten die Grundstückskosten bereits 16 Prozent und die Baukosten 84 Prozent aus. Inzwischen betragen die Grundstücksanteile in München im Jahr 2018 79 Prozent und die Baukosten nur noch 21 Prozent der Gesamtkosten eines Wohnungsbaus.“
Zur Ergänzung: Allgemein kann man sagen, dass die durchschnittlichen Mietpreise in deutschen Städten sich in 20 Jahren verdoppelt haben. Betonung liegt auf Durchschnitt, da Neuvermietungen in Berlin allein dieses Jahr um fast 30% gestiegen sind. Die Bodenpreise in Berlin haben sich in 15 Jahren verachtfacht. Im Vergleich dazu, haben sich die Bodenpreise für Ackerland im selben Zeitraum in ostdeutschen Gebieten verdoppel und bis hin zu vervierfacht.
Zurück zu unserer Fallstudie:
Was sich im Fall Quarterback/Röderland also abzeichnet, ist die kapitalistische Ausweitung des Geschäftsfeldes eines börsennotierten Immobilienkonzerns, der seine Rendite mit absolut niederträchtigsten Bewirtschaftungsmodellen in der Stadt erwirtschaften, dadurch den Mietspiegel anhebt und so die Bodenpreisspirale ankurbelt. Großzügig investieren sie dann in öffentlich subventionierte Projekte wie den Ausbau erneuerbarer Energien auf ostdeutschen Äckern. Diese Investitionen treiben die Bodenpreise und verdrängen Bauern und Bäuerinnen die sich die Pachtpreise und Kaufpreise nicht mehr leisten können. Uwe Zöllner von der Bürgerbewegung Finanzwende wird noch auf die Bewirtschaftungsmodelle dieser Unternehmen eingehen.
Die Methoden von Vonovia oder eben der Konzerntochter Quarterback, zeigen einmal mehr, dass diese Unternehmen weder ein Interesse an Wohnraum, noch an bauen, noch an Landwirtschaft, noch an einer sozial-ökologischen Transformation haben, sondern einfach nur das tun was kapitalistische Unternehmen eben immer tun, ihr Kapital durch Investitionen, Ausweitung ihrer Marktanteile, Effizienzsteigerung, d.h. Einsparung und Ausbeutung vermehren, ohne Rücksicht auf Verluste.
Der CEO der Quarterback GmbH sieht in dieser Entwicklung eine logische Konsequenz: Er redet nicht von der Qualität und Bewirtschaftung von Boden oder der Qualität und Bezahlbarkeit von Wohnraum, sondern er sieht das so: „Wir haben uns gefragt, wie können wir unsere operativen Tätigkeiten in der Quarterback erhöhen? Vor allem gab es eine starke Nachfrage von institutionellen Investoren unsere Projekte um Energie Development zu erweitern. Das liegt nah, Quarterback ist ein Developer, d.h. die grundsätzliche Tätigkeit ist es Grundstücke zu kaufen, ne Vision zu entwickeln und am Ende das ganze zu realisieren. Solar Development ist ähnlich, es gibt also Grundstücke, es gibt ne Vision, es gibt ne Planung, ne Genehmigung und am Ende wird das realisiert. Also lag es nah irgendwo die beiden Welten miteinander zu verbinden. Unser Energieportfolio macht 10-15% des Gesamtportfolio aus. Die Erwartung ist, dass irgendwann Banken und Finanzierungsinstitute sich dem öffnen und in dem Bereich einfacher Finanzierungen stattfinden.“
Erst kürzlich berichtet Quarterback auf der eigenen Website:
„Die QUARTERBACK Immobilien AG und die Deutsche Bank AG haben in der vergangenen Woche einen Kreditvertrag über 125 Millionen Euro abgeschlossen. Die vereinbarten Kreditmittel werden für den Ankauf von erneuerbaren Energieprojekten mit Schwerpunkt Solar in einem fortgeschrittenen Projektentwicklungsstadium verwendet.“
LANDNAHME-THEOREM
Klaus Dörre beschreibt in seinem 2009 erschienenen Text Die neue Landnahme. Dynamiken und Grenzen des Finanzmarktkapitalismus genau diesen Prozess. Ich zitiere Carolin Amlinger's Zusammenfassung: „Das Landnahme-Theorem bezeichnet eine kapitalistische Entwicklung „als Abfolge von Landnahmen nicht-kapitalistischen Terrains. Kapitalistische Gesellschaften können sich daher über Krisen hinweg nur selbst stabilisieren, da sie fortwährend neue geographische Territorien oder Produktions- und Lebensweisen in Besitz nehmen und die in den Landnahmeprozessen involvierten sozialen Akteure zu systemkonformem Handeln motivieren. Neben der Kolonisierung neuer geographischer Räume, der Landnahme im wörtlichen Sinne, bezeichnet Dörre damit auch die Privatisierung öffentlicher Güter, wie beispielsweise Post, Eisenbahn, Gesundheitswesen und Bildung, oder auch die Adaption subkultureller Lebensformen und Werte, wie beispielsweise Kreativität, Authentizität oder Autonomie, für moderne Arbeitsformen. Das Grundmotiv der Landnahme ist demzufolge die Inbesitznahme, Okkupation und Expansion, in der „Land“ nicht identisch mit Grund und Boden sein muss.“
Gemeint ist damit, dass eine Finanzmarktlogik auf nicht-ökonomische Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Pflege, Subkultur also insbesondere die Daseinsfürsorge angewendet wird und nach dem Rendite- oder Zinsprinzip, auch Shareholder-Value genannt, ökonomisiert wird.
Ich gebe nun ab an Sabine Nuss, sie ist: Politikwissenschaftlerin und Journalistin, sie war Referentin für Politische Ökonomie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, außerdem Geschäftsführerin des Karl Dietz Verlag Berlin, ihre Promotion mit dem Titel Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus erschien als Buch. Ist also auch interessant für die Medienkunstaffinen unter euch. Des weiteren Publizierte sie das Buch Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Die große Wiederaneignung und das vergiftete Versprechen des Privateigentums, ebenfalls im Karl Dietz Verlag, Berlin 2019. Zuletzt erschien 2024 ihr neues Buch, ebenfalls beim Dietz Verlag Wessen Freiheit, welche Gleichheit? Das Versprechen einer anderen Vergesellschaftung.